BMW Summerschool 2016: Wenn der Keynote-Speaker im Bademantel Caipi bestellt

by Paul Balzer on 21. Juli 2016

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Ich war dieses Jahr bei der BMW Summerschool zum Thema “Car as a Service”, gemeinsam veranstaltet von EURECOM, der TU München und BMW.

summerschool-partners

Diese wurde eine ganze Woche (Montag – Samstag) am Tegernsee in Bad Wiessee im Hotel Terrassenhof veranstaltet und bot neben herrlichster Landschaft auch eine nahezu unendliche Vielfalt an Eindrücken.

Über ein paar möchte ich berichten.

Wissenschaftlicher Teil

Die Summerschool wurde von der IEEE Connected Vehicle Initiative und in Zusammenarbeit mit der IEEE Vehicular Technology Society durchgeführt, der wissenschaftliche Beirat der Summerschool bestand aus Martin Arend (BMW Group), Ulrich Finger (EURECOM), Thomas Goldbrunner (TUM), Prof. Jérôme Haerri (EURECOM), Andreas Herkersdorf (TUM), Axel Honsdorf (BFHZ), Prof. Jörg Ott (TUM), Hannemor Keidel (TUM) sowie Hans-Jörg Vögel (BMW Group). Inhaltlich ging es um die Themen

  • Location based services
  • Context management
  • Personalisation
  • Cloud computing
  • Business models
  • Predictive analytics
  • IoT / Smart devices / Smart services
  • Intelligent agents
  • User centric, design / user experience
  • Connectivity
  • Open API / developer portals
  • Smart City
  • Urbanisation

Die Einreichung des wissenschaftlichen Beitrags erfolgte in Form eines Posters in das DriveChair System. Es wurden knapp 40 Einreichungen akzeptiert. Während der Summerschool gab es jeden Tag 1h Postersession, in der man Rede & Antwort zu seiner Einreichung stehen konnte.

Der direkte Austausch mit Doktoranden aus der ganzen Welt (18 Nationen!) sowie Fachleuten von BMW, war für viele sicherlich der größte Input in der Woche.

Vorträge: Wenn der Jet kurz zwischenlandet

Eines war relativ schnell klar: Hier wurde nicht die zweite Reihe Speaker eingeladen. Jeden Tag waren 2-3 Personen des Summerschool-Veranstaltungsteams damit beschäftigt Speaker von München/Flughafen nach Bad Wiessee zu fahren. Ein Blick in das Programm zeigt die Qualität der Speaker sowie die behandelten Themen.

Bundesministerium

Angefangen von Dr. Miethaner (Ministerialdirektor “Digitale Gesellschaft” des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur), welcher den Kick-Off für das Förderprogramm mFUND gab und über die vorgeschlagene juristische Richtung zu Haftungsfragen rund um selbstfahrende Autos Stellung bezog.

Design Thinking

Prof. Gerhard Satzger gab einen schönen Workshop zum Thema Designthinking, welcher aufrüttelte, dass man sich als Ingenieur nicht nur auf technische Detailverbesserungen des bereits bestehenden Produkts konzentrieren sollte, sondern auch mal grundsätzlich die Frage stellt, was der Kunde eigentlich möchte. Diese Frage war ungefähr die Basis der gesamten Summerschool. Wird der selbst gekaufte Privat-PKW in Zukunft das sein, was der Kunde möchte? Um es vorweg zu nehmen: Die Frage wurde in der ganzen Woche nicht beantwortet, vielmehr wurde klar, dass es niemand weiß und es noch viel komplizierter ist, als man es sich auf den ersten Gedanken vorstellen kann.

Digital Strategy

Ein wirklich toller Vortrag kam vom Head of Digital Strategy der BMW Group, Jens Monsees, ehemaliger Google Guy. Toll war der Vortrag deshalb, weil er fast durchgehend als Frage formuliert war und ergebnisoffen eine mögliche Antwort der BMW Group zum Thema schilderte. Zwischendurch kam auch folgende Aussage:

“Digitalisierung ist wie HighSchool Sex:
Alle reden darüber.
Kaum einer macht’s.
Keiner macht es richtig.”

Jens Monsees, Head of Digital Strategy (BMW Group)

Auf den ersten Blick verwundernd, doch zeigt das auch, dass die Jungs&Mädels dort nicht mit völliger Selbstüberschätzung am Kunden vorbei Produkte oder Services entwickeln. Die Idee geht in Richtung “Car as a Platform”, doch immer als Frage gestellt.

"Car as a Platform" - aus Vortrag von Jens Monsees, Head of Digital Strategy, BMW Group

“Car as a Platform” – aus Vortrag von Jens Monsees, Head of Digital Strategy, BMW Group

Er sprach auch viel über die Änderung der Unternehmenskultur, die Frage nach der Positionierung der Marke bzw. des Service “Mobilität” in der Welt des Kunden im Jahre 2030…

Dabei ist nicht die Frage ob, sondern wie und wer. Und mein Eindruck nach dieser Woche ist, dass Firmen wie BMW überhaupt nichts verschlafen. Sie machen es nur nicht so vorlaut wie die Konkurrenz aus den USA. Der Head of Elektrik/Elektronik nannte es meinungsbasiert vs. datenbasiert. Die deutschen OEM haben eine Meinung zu einem Thema (und das aus gutem Grund) und setzen daher auf eine bestimmte Lösung. Die US Firmen haben Daten und ziehen daraus ihre Schlüsse.

Car Sharing

Der CEO von DriveNow, dem Carsharing Startup von Sixt und BMW, welches Free Floating CarSharing mit BMW und Mini Fahrzeugen betreibt, sprach ebenfalls. Er zeigte die positive Geschäftsentwicklung und die Auswirkungen auf die Großstadtmobilität. Da sich viele Doktoranden mit tangierenden Themen beschäftigten, kam er nicht mal dazu den Vortrag zu Ende zu führen, stattdessen wurde die Zeit für Diskussionen genutzt.

Selbstfahrende Autos

Natürlich wurde viel über selbstfahrende Autos diskutiert, über den Tesla Crash und wo die deutschen OEM nun bleiben. Eine Sache wurde relativ schnell klar: So verrückt wie Tesla möchte man gar nicht sein. Das es technisch möglich ist teilautomatisiert zu fahren ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob man dem Kunden die Lösung als “Autopilot” an die Hand geben darf, was es einfach mal nicht ist. Auch nicht bei Tesla.

Auch die Frage, wie sich z.B. vollautomatisierte Taxis, wie das Google Auto, auf die Verkehrsnachfrage und die PKW-Verkaufszahlen auswirken, wurden mehrfach aus unterschiedlichen Richtungen eingegangen. Doch alle Speaker waren so ehrlich, dass sie nur eine mögliche Variante aufzeigten. Eine (1) Antwort gab es nicht.

What’s next?

"Whats next?" von Dave Marples (Technolution)

“Whats next?” von Dave Marples (Technolution)

Denn je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto klarer wird eigentlich, dass es nicht nur eine richtige Antwort auf die Frage zur Mobilität der Zukunft gibt. Eine interessante wissenschaftliche Einreichung kam von Martin Fritz von der Uni Rostock, welche bildlich in etwa so beschrieben werden kann: Bisher zeigt der Nachbar durch seinen Porsche oder Mercedes vor der Tür, dass er es “zu etwas gebracht hat”. Wenn es nun in der Sharing Economy nur RoboTaxi-CarSharing geben soll, wo entwickelt sich dann der Drang des Menschen nach Selbstdarstellung bzw. Individualität hin? Letztlich sind wir Menschen und agieren nicht logisch, sondern emotional. Schon diese einfache Frage zeigt, wie komplex es ist eine Vorhersage über die Zukunft zu treffen. Und Fahrzeuge werden in der Regel mit 6-7 Jahren Vorlauf geplant, das Umsetzen dauert dann noch mal 3-5 Jahre. Die Ideen die jetzt als wichtig erachtet werden, landen also im Design der nächsten Fahrzeuggeneration.

Sessions

Neben den Vorträgen gab es auch immer wieder Sessions, in denen sich die Teilnehmer verteilen konnten. Ich entschied mich zum einen für die Session “Design Thinking” mit Jane Vita, Senior Creator & UX Designer (Futurice) sowie dem Tutorial „Mobile Networking – 5G and beyond“ mit Dirk Kutscher, Chief Researcher Networking (NEC Labs. Europe).

Jane versuchte uns nahe zu bringen, wie die Logik von Design Thinking ist und wie mit Hilfe dieser Technik Ingenieure und Designer zusammen arbeiten können, um das beste aus beiden Welten für ein neues Produkt oder Service zusammen zu fügen.

Dirk Kutscher zeigte im Detail, wie Netzwerke aufgebaut und verwaltet sind, wie Content Distribution heute und (vielleicht) morgen effizient funktioniert und wie die Herangehensweise für 5G ist.

Recruiting

Zwischendurch schaute die Personalabteilung mit Unterstützung von Leuten aus den Fachabteilungen immer wieder mal bei den Teilnehmern vorbei und es gab Gelegenheit, sich einen Job in München überhelfen zu lassen. Auch hier wurde klar, dass das nicht einfaches abfertigen war, sondern gezielt die Leute aus den Fachabteilungen anreisten, die beurteilen können, ob der/die zum Team passt und das KnowHow mitbringt.

Ich hatte beispielsweise Gespräche mit dem Department Manager Sensor Systems, Fully automated driving, ADAS sowie einem Entwicklungsingenieur des BMW Umfeldmodells/Sensordatenfusion. Wann bekommt man schon mal solch eine Möglichkeit?  Ich konnte sie leider nicht überzeugen eine ADAS Entwicklungsabteilung in Dresden zu eröffnen. Zumindest nicht auf kurze Sicht. :)

Lean Startup Training

Die Hälfte der Woche war mit Vorträgen und Sessions gefüllt, die andere Hälfte wurde Lean Startup Training gemacht. Den Anfang hat Carolina Alex von der BWM Startup Garage und Christine Astor vom BMW Technologiemanagement übernommen, danach hat ein ganzes Team von Startup-Coaches von der German Entrepreneurship GmbH weitergemacht. Dabei ging es vor allem darum Kreativitätstechniken zu erlernen. Diese wurden dann über mehrere Tage so weit angewendet, dass wir für fiktive Personengruppen (von BMW vorgeschlagen) eine (Mobilitäts-)Lösung erarbeitet haben, sowie den Business Model Canvas und das Pitchdeck erstellten. Alles natürlich mit viel Post-Its, Powerpoint und Prittstift und Berliner “Boom-Schackalacka”.

giphyInteressant waren aber vor allem die Gespräche mit den Coaches, die natürlich viel zu erzählen hatten (waren ja Serial-Gründer und haben schon mehrere Startups an die Wand gefahren und erfolgreich verkauft und ihre nächste Idee verändert alles :). Das Ergebnis wurde in einem Elevator Pitch gruppenweise am Samstag vorgestellt und alle Teilnehmer haben über die beste Idee/Konzept/Vortrag abgestimmt.

Abgeschlossen wurde das Thema mit der Präsentation einer Infografik aus der BMW Technologieprognose, in welcher sie die Themen die BMW heute auf dem Schirm hat, über welche BMW konkret nachdenkt und zu welchen sie bereits handeln, visualisiert. Leider geheim, sodass ich die nicht zeigen kann. Schade!

Soweit so gut der offizielle Teil.

Der persönliche Teil

Neben dem offiziellem und wichtigem Teil, dem fachlichen Input und den Diskussionen, gab es auch einen sehr sehr großen informellen Teil. Nämlich den der entsteht, wenn man eine ganze Woche zusammen ist.

Bereits am zweiten Tag wichen die Anzüge, Hemden und Krawatten den kurzen (Leder-)Hosen. Abends saß man bei Bier/Wein/Wasser zusammen und es fanden sich immer Gruppen, die wussten wo man noch ein Bier her bekommt. Die Auswahl der Teilnehmer aus 18 verschiedenen Nationen brachte einen bunten Mix aus vielen Ansichten, Verhaltensweisen und Geschichten.

Es war sehr erfrischend die Designerin aus Finnland, die Bauingenieurin aus der Türkei und den Fahrzeugingenieur aus München über die gleichen Themen sprechen zu hören. Vom förmlichen Dinner mit dem Generalkonsul der französischen Botschaft über ein Ausflug zu einer Bayrischen Hütte mit zünftiger Brotzeit bishin zum Tegernseer Hell aus der Flasche haben die Organisatoren dafür gesorgt, dass man sich kennen lernt.

summerschool_images

Dinge die ich witzig fand: Nach anstrengendem Programm bis spät in die Nacht am Tegernsee sitzen und einem Herren, der gerade aus dem Wasser kommt, ein Bier anbieten und später feststellen, dass er Forscher aus Cambridge ist, der nächsten Tag eine Session leitet. An der Bar einen Caipirinha trinken und der Herr neben einem im Bademantel ist der Keynote Speaker vom nächsten Tag. Während des Abends feststellen, dass man den gleichen Humor teilt und herzhaft lachen kann, obwohl man den Witz nicht in’s Englische übersetzt bekommt. Toll…

Dinge die ich nicht so witzig fand: Am Anfang der Woche haben wir eine Schweigeminute für Nizza gehalten, am Ende der Woche haben alle kreidebleich ihre Handys in der Hand gehalten und Verwandte & Bekannte in München abtelefoniert, ob alles in Ordnung ist. Ein unheimlicher Kontrast, denn während solch einer Summerschool hat man gemerkt wie unglaublich horizonterweiternd die verschiedenen Charaktere und Nationen zusammen agieren können. Ohne die vielen internationalen Teilnehmer wäre die Summerschool nicht das, was sie war. Wieso geht das nicht überall so?

Fazit

Eine so schöne Summerschool erlebt man wohl nur selten. Die Organisatoren haben sich um die Teilnehmer extrem viele Gedanken gemacht, haben Himmel&Hölle in Bewegung gesetzt und dafür gesorgt, dass alles reibungslos und in schönster Atmosphäre abläuft.

Danke an die Organisatoren! Bei Amazon gäbe es ★★★★★ Bewertung.

 

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