Wissen kumuliert, Studienzeit bleibt konstant

by Paul Balzer on 27. Mai 2012

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Früher gab es nur Physiker oder Gelehrte, die haben sich um alles gekümmert, was es so an ungelösten Problemen auf der Welt gab. Heute ist die Welt komplexer, komplizierter und viele Probleme sind schon lange gelöst.

Demzufolge gibt es heutzutage Spezialisierungen: Fahrzeugtechnikingenieur, Chemieingenieur, Betriebswirt, Volkswirtschaftler, Germanisten, Social Media Manager usw. Das kann nicht alles der Physiker machen. Das menschliche Wissen hat sich rasant weiter entwickelt.
Worauf möchte ich hinaus?

Nun, die Studienzeit bzw. Schulzeit ist konstant geblieben. Die Industrie oder Arbeitswelt erwartet Fachwissen, schon von Absolventen. Man hat aber, im Vergleich zu früheren Jahrhunderten, einfach viel mehr Fakten, welche heute als Grundlagen gelten, allein weil sie ja schon ewig bekannt sind. Das muss also irgendwie alles komprimiert oder schneller abgehandelt werden im Grundstudium, weil ja das Expertenwissen des Professors weiter entwickelt ist als das seines ehemaligen Professors von früher. Demzufolge wird er im Hauptstudium auch den aktuellen Stand des Fachgebiets vermitteln wollen. Der Studierende hat also offensichtlich mehr Grundlagen zu lernen, um dann auf dem aktuellen Stand des Fachgebiets abzuschließen. Das gleiche gilt für Diplom- oder Doktorarbeit. Wurde früher noch über ‘Die Festigkeit eines Kranhakens bei konstanter Belastung’ eine Diplomarbeit verfasst, ist das heute eine CAD-Konstruktion mit anschließender FEM Berechnung, fertig. Das gehört in jedes Maschinenbaustudium als Beleg oder Hausaufgabe. Wenn das Wissen und die damit verbundenen Grundlage also kumulativ sind und die Studienzeit aber konstant lang, durch Bologna-Prozesse sogar kürzer wird, wie muss man sich das dann vorstellen? Wird etwas weg gelassen oder wird es effizienter vermittelt?

Alles ‘wie früher’

Warum ich das schreibe: Ich sitze derzeit im Grundstudium Nachrichtentechnik und da lösen wir derzeit Laplace-Transformationen, Fourier-Transformationen, z-Transformationen etc. ‘per Hand’. Wir sitzen also da und rechnen Partialbruchzerlegungen, bestimmte Integrale und Pole mit einem Stift auf einem Blatt Papier (bzw. iPad) aus, um dann nach 20min (und in meinem Fall unendlich vielen Fehlern) das Ergebnis zu bekommen, welches z.B. Wolfram-Alpha in 2s ohne Fehler auch aus gibt.
Jetzt kann man natürlich die Argumentationskette ‘Das müssen sie mal gemacht haben, sonst verstehen sie das nicht, das sind die Grundlagen‘ aus dem Hut zaubern! Ich denke das nicht und einige Leute, z.B. Conrad Wolfram, ebenfalls nicht.

Das Handwerk ist ein anderes

Selbst nach mehreren Jahren als Ingenieur, welcher sich mit Regelungstechnik beschäftigt hat, habe ich noch nie eine FFT per Hand gerechnet, noch nie eine Übertragungsfunktion per Hand in den Zeitbereich umgerechnet (wenn es einen Leser gibt, der jünger ’80 ist und der das schon mal im Job gemacht hat, der möge bitte kommentieren und mir widersprechen, danke!). Warum auch, der Computer kann das 1e12x schneller als ich.
Ich habe dabei sogar noch die Möglichkeit die Variablen zu verändern und die Auswirkungen auf das Ergebnis zu beobachten. Das hilft beim Verständnis! Nicht das ich 20min da saß und mir die Lösung eines uneigentlichen Integrals durch Substitution überlegte.

Evolution statt Beharrlichkeit

Man muss doch irgendwann mal umstellen und sagen: ‘In ihrem Berufsleben werden sie niemals so etwas per Hand machen müssen, wir zeigen ihnen gleich wie es der PC macht und wir vermitteln ihnen das Wissen damit effizienter‘. Ich muss nur wissen wofür das Verfahren da ist, wie es funktioniert, der PC soll es mir ausrechnen. Es kommt ja noch mehr im Anschluss für das dann wieder die Zeit fehlt.
Ein Gehirn lernt doch nur mit einem begrenzten Querschnitt (Wissen pro Zeit). Man benötigt also Zeit um etwas zu verinnerlichen. Daher kann man nicht einfach schneller machen, sondern muss irgendwo umstellen auf den aktuellen Stand der Technik.

One Comment

  1. Hi.
    Ich teile deine Meinung nicht ganz.
    Du sagst, man muss es verstehen, aber das Problem ist doch, dass du überhaupt nichts verstanden hast, solange du es nicht selbst gerechnet hast. Folgende Situation ist doch allgemein bekannt: man sitzt in der Vorlesung, hört sich irgendein Thema an, alles super verständlich und man denkt: ist ja einfach, kann ich! … Nichts da! Spätestens wenn es an die erste Übungsaufgabe geht, kommen die ersten Fragen auf.
    Ganz davon abgesehen muss man in vielen Forschungsfeldern (insbesondere Physik) selbst vieles herleiten und da hilft auf kein tolles Rechenprogramm. Analytisches Rechnen ist eine unverzichtbare Fähigkeiten jedes Naturwissenschaftlers.

    P.S. Die Höhe des Kommentarbereichs ist zu knapp bemessen.

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