Abgasgrenzwerte und Verbraucherinteresse: Das Henne/Ei Problem

by Paul Balzer on 31. Juli 2013

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Spiegel Online titelt “Deutschland lässt Abstimmung über CO2-Grenzwerte scheitern” und schreibt hinterher, dass die Bundeskanzlerin im Interesse der deutschen Automobilhersteller handelt und nicht im Interesse der EU Umweltziele.

Worum geht es dabei? Die geplante Einigung der EU sah vor, dass ab dem Jahr 2020 eine Grenze von 95g CO2 pro Kilometer für den Durchschnitt aller Neuwagen gelten solle. Bisher liegt der Grenzwert bei 120 Gramm, den die Hersteller bis zum Jahr 2015 schrittweise erreichen müssen.

Abgase des Ottomotors

Mittlere Zusammensetzung der Abgase eines Ottomotors Quelle: Skript zur Vorlesung "Verbrennungsmotoren" von Prof. G. Zikoridse, HTW Dresden

Mittlere Zusammensetzung der Abgase eines Ottomotors
Quelle: Skript zur Vorlesung “Verbrennungsmotoren” von Prof. G. Zikoridse, HTW Dresden

Wie man an der mittleren Zusammensetzung der Abgase des Ottomotors sehen kann, ist CO2 (Kohlendioxid) nicht der hauptsächliche Anteil des Abgases. Weshalb wird also gerade diese Größe limitiert und soll reduziert werden? Nun, an dem Teil Stickstoff kann man nichts machen, dieser ergibt sich einfach aus der Menge Luft, die man ansaugt. Die anderen Anteile in ähnlicher Form ebenso, lediglich die Schadstoffe (2%) kann man durch motorische Maßnahmen im Anteil verändern. Hierzu sind enorme Anstrengungen seitens der Automobilindustrie getätigt worden, die sehr strengen Abgasvorschriften einzuhalten. Weshalb also gerade das CO2?

CO2 ist direkt proportional zum Kraftstoffverbrauch

Grundlegend sei an dieser Stelle der Beitrag “Verbrennung von Kraftstoff und Luft” empfohlen. Läuft eine Verbrennung ideal und vollständig ab, so reagiert vereinfacht und ohne Berücksichtigung von kurzzeitig entstehenden Zwischenprodukten:

C_mH_n+(m+\frac{n}{4})O_2 \Rightarrow mCO_2+\frac{n}{2}H_2O+\text{Energie}

Man sieht, dass genau m mal so viel CO2 entsteht, wie eingangs C Atome im Kraftstoff enthalten waren. Der Proportionalitätsfaktor ist für Ottomotoren ca.

CO2_\text{g/km}=23{,}2 \cdot b_S \cfrac{L}{100 \mathrm{km}}

Für Dieselmotoren ist er höher, er beträgt 26,2.

Streckenbezogene CO2 Emissionen von Diesel, Benzin und Autogas Verbrennungsmotor in Abhängigkeit des Krafstoffverbrauchs

Streckenbezogene CO2 Emissionen von Diesel, Benzin und Autogas Verbrennungsmotor in Abhängigkeit des Krafstoffverbrauchs

Die CO2 Emissionen sind also ein guter, physikalisch nicht zu beeinflussender Ausdruck für den Kraftstoffverbrauch des Verbrennungsmotors, egal ob Diesel oder Otto.

Von der EU wurde nun vorgesehen, den durchschnittlichen Flotten-CO2-Wert für alle neu zugelassenen Fahrzeuge auf 95gCO2/km zu senken. Nach obenstehender Grafik sind das im Schnitt nur 3.6L/100km für Diesel PKW und 4.1L/100km für Benzin PKW. [Download der Excel Tabelle]

Grenzen der Physik

Diese Zahlen sind auf dem Papier natürlich leicht zu formulieren. Jeder wünscht sich ein Fahrzeug, welches die 4-köpfige Familie mit Gepäck und Fahrradträger angenehm klimatisiert, schallgedämpft, mit aktiven und passiven Sicherheitsfeatures ausgestattet und möglichst mit 130km/h und mindestens ununterbrochen 1000km in den Urlaub fährt und dabei nur 3.6L/100km Diesel verbrennt. Dies wird zum Teil sogar schon durch einige Fahrzeuge deutscher Hersteller erreicht [Beispiel].

Doch es gibt da ein paar physikalische Grenzen. Wen es interessiert, der kann sich gern “Kraftstoffverbrauch nicht akzeptabel“, “Downsizing, ein Beitrag zur Verbrauchsdebatte” oder auch “Hybridantriebe” anschauen, dort wird zum Teil erläutert, weshalb ein Fahrzeug einen Verbrauch hat und auch die Fahrzeughersteller daran nichts ändern können, aber immer daran arbeiten diesen zu senken.

Das Problem ist auch, dass die Abgasgrenzwerte für die limitierten Schadstoffe durch EU5 und EU6 derart drastisch limitiert wurden, dass die Abgasnachbehandlung für die PKW den Kraftstoffverbrauch wieder erhöht. Zu sehen an der  Mercedes Benz E-Klasse. Diese ist mit identischem Motor einmal mit EU5 und einmal mit EU6 Abgasnorm erhältlich. Die EU6 Variante benötigt mehr Kraftstoff für gleiche Arbeit, d.h. der Wirkungsgrad wird wieder schlechter. Die CO2 Emissionen steigen, obwohl der Fahrzeughersteller alles getan hat was nötig war, um die EU6 Abgasnorm einzuhalten.

Auto-Motor-Sport schreibt  im Artikel “Mercedes E 350 Bluetec T-Modell Dauertest” dazu:

Dabei lässt sich gleich noch die aufwendige Abgastechnik des nach Euro 6 zertifzierten Diesels überprüfen, der zur Minderung der Stickoxide ein kleines Chemielabor mit sich herumfährt. Allerdings kostet der 211 PS starke Bluetec derzeit 4.105 Euro mehr als der Mercedes E 300 CDI, in dem der gleiche, nach Euro 5 eingestufte Dreiliter-Sechszylinder 231 PS leistet und im Normwert einen Liter/100 km weniger verbraucht.

Der Markt regelt Angebot und Nachfrage

Es besteht also ein gewisser Zielkonflikt. Der Kunde möchte im Falle eines Unfalls seine Familie möglichst unbeschadet überleben lassen. Dazu ist eine Menge passive Sicherheit mit herumzufahren, welche zu bewegen Kraftstoff kostet. Eigentlich möchte der Kunde überhaupt keinen Unfall erleben, weshalb aktive Sicherheitsfeatures in den Fahrzeugen verbaut werden sollen, was wieder Kraftstoff kostet (Steuergeräte, Sensoren, Kabelbaum, Vernetzung etc.). Außerdem möchte der Kunde Klimaanlage, Internet, Multimedia und Navigation sowieso, was ebenfalls Kraftstoff kostet. Die EU möchte Tagfahrlicht, was Kraftstoff kostet. Das Fahrzeug soll auf der Autobahn an einer Steigung nicht auf 70km/h einbrechen sondern möglichst ohne Knurren mit im Tempomat eingestellten 140km/h den Berg hinauf schnurren, was Leistung benötigt, was Kraftstoff kostet.

Die Verkaufszahlen der Oberklassefahrzeuge und SUV‘s geben den Fahrzeugherstellern Recht. Der Markt erzeugt die Nachfrage, der Hersteller hat das Angebot. Oder anders herum, die Hersteller haben das Angebot, der Markt kauft einfach das was da ist? Man wird es sehen, BMW hat einen mutigen Schritt gewagt und tatsächlich einen Vollelektro i3 auf die Beine gestellt.

Die Rolle der Elektrofahrzeuge

Die Fahrzeughersteller sitzen in einer gewissen Zwickmühle. Die Technologieträger, die Fahrzeuge mit denen Geld verdient wird, die Fahrzeuge in denen neue Techniken eingeführt werden können, die verkaufen sich wie geschnitten Brot. Weshalb also deren Produktion reduzieren? Eine Technik wird immer Top->Down eingeführt. Wenn die Verkaufszahlen der Oberklasse einbrechen, kann auch keine Entwicklung mehr bezahlt werden, denn ein 8000€ Voll-LED Scheinwerfer, der Fußgänger gezielt anleuchtet und damit Menschenleben retten kann, wird niemals zuerst in einem VW Polo eingeführt werden.

Diese Oberklassefahrzeuge haben allerdings einen wesentlich höheren Verbrauch als die angestrebten EU Grenzwerte. Der Fahrzeughersteller muss den Flottenverbrauch dringend einhalten. Was bleibt ihm?

Bisher war der Super Credit  ein Mittel, die Flottenwerte zu erreichen. Dieser berechnet jedes verkaufte Elektrofahrzeug mit einem Multiplikationsfaktor zu den 0gCO2/km in die Flotte.

Das heißt, verkauft der Hersteller ein Fahrzeug mit 450 gCO2/km und ein Elektrofahrzeug, gelten im Flottendurchschnittswert

D_\text{Flotte}=\cfrac{450\frac{g CO_2}{km}+0\frac{g CO_2}{km}}{1 + 3{,}5 \cdot 1}=100 \frac{g CO_2}{km}

Dieser Super Credit steht nun mit diesen angestrebten EU Grenzwerten in der Diskussion. Er soll ab 2020 auf 1 reduziert werden. Damit sind die Flottenverbräuche nicht mehr zu schaffen. Eine Reduktion auf die angestrebten Werte ist für deutsche Oberklassefahrzeuge aus physikalischen Gründen nicht möglich. Der Kunde kauft aber diese Fahrzeuge. Der Hersteller ist gezwungen etwas zu unternehmen.

Dies führt dazu, dass sogar BMW plötzlich Frontantrieb und 3-Zylindermotoren einführt, um im unteren Fahrzeugsegment Stückzahlen mit geringen CO2 Werten abzusetzen, um damit die Oberklassefahrzeuge im Flottenverbrauch zu stützen. Ohne Unterklasse keine Oberklasse.

Grundsätzliche Frage

Insgesamt stellt sich grundsätzlich die Frage, weshalb die Grenzwerte verschärft werden sollten. Sieht man sich den Anteil der CO2 Emissionen des Verkehrs (lila) insgesamt an, so ist auf den 1. Blick ersichtlich, dass es noch andere Stellschrauben geben könnte.

Quelle: Umweltbundesamt

Denn der Kraftstoffverbrauch ist in den letzten Jahren ohnehin schon rückläufig.

Spezifischer Kraftstoffverbrauch von Pkw, Quelle: Umweltbundesamt

2 Comments

  1. Zur Grundsätzlichen Frage:
    Ja, auf jeden Fall.
    Im Energiebereich wird bereits manches unternommen, auch für Industrieprozesse gibt es den Emissionshandel (der leider gerade blockiert wird, danke FDP).
    Je mehr Stellschrauben man dreht, desto weniger muss man jede einzelne Stellschraube drehen um das Ziel zu erreichen – es wird also insgesamt billiger.

    Zudem sind nicht nur die CO2-Emissionen zu betrachten, sondern auch die Verfügbarkeit der Kraftstoffe – zu Öl und Gas gibts noch keine erprobten Alternativen. Daher sind ambitionierte Verbrauchsvorgaben hochgradig sinnvoll, da diese auch in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo das Öl gerade etwas billiger ist, einen klaren Anreiz setzen.

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